Das Leben und die Biologie von Chiropteren

Die bei uns vorkommenden Fledermäuse wechseln zwischen einer sehr aktiven Lebensweise im Sommer und einer lethargischen Phase im Winter. Der Jahreszyklus ist geprägt von der Geburt und der Aufzucht der Jungtiere, der Migration bei einigen Arten, der Paarung (oder Paarungszeit) und dem Winterschlaf.
Das Fledermausjahr - © "LICHT AN!" Buch

Geburt und Aufzucht der Jungen

Nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf (in der Regel im April, der Aufwachzeitpunkt variiert allerdings von Art zu Art) kehren die Fledermausweibchen in ihre Wochenstuben zurück. Die Kolonien können je nach Art, Quartier und örtlichen Gegebenheiten aus nur wenigen weiblichen Tieren oder mehreren hundert Tieren bestehen. Die Quartiere können sich in einer natürlichen Struktur (z. B. einem hohlen Baumstamm) oder in einer künstlichen Struktur (z. B. in einem Pfeiler einer Strassenbrücke) befinden. In der Schweiz nutzen mehr als die Hälfte der Fledermausarten regelmässig (manchmal ausschliesslich) Gebäude, um ihre Jungen zur Welt zu bringen und aufzuziehen.
Nach einer Tragzeit von etwa sieben bis neun Wochen bringen die Weibchen etwa im Juni das einzige Jungtier des Jahres zur Welt (einige wandernde Arten haben des öfteren auch Zwillinge). Die Jungen werden nackt und blind geboren. Sie wachsen dank der energiereichen Milch ihrer Müttern schnell heran. Die Zeit der Jungenaufzucht ist für Fledermäuse besonders kritisch, da die Mutter intensiv jagen muss, um ihr Junges mitzuversorgen.
Junge Fledermäuse brauchen eine konstante, relativ hohe Temperatur, um sich entwickeln zu können. Wenn sie sich in einer Kolonie zusammenfinden, können die Mütter insbesondere bei ungünstigen Wetterbedingungen eine gute Thermoregulation gewährleisten, indem sie sich eng aneinander drängen. Im Gegensatz dazu verteilen sich die Tiere bei zu hohen Aussentemperaturen im Wochenstubenquartier, um die Körperwärme besser abführen zu können.
Nach etwa einem Monat beginnen die Jungtiere erstmals zu fliegen, und die Wochenstubenkolonien lösen sich allmählich auf. Auch wenn das Jagdverhalten vermutlich angeboren ist, ist es wahrscheinlich, dass die Jungtiere den Adulten zunächst folgen. Dies ermöglicht es ihnen, die günstigsten Lebensräume (insbesondere Jagdplätze) kennenzulernen und sich diese zu merken, was allerdings noch wenig erforscht ist.

Paarung und Schwärmen

Während des gesamten Sommers bleiben die Männchen einzelgängerisch, mit Ausnahme einiger Arten wie z. B. dem Grossen Abendsegler, der Zweifarbfledermaus und der Wasserfledermaus. Erst nach der Auflösung der Wochenstubenkolonien treffen sich Männchen und Weibchen zur Paarung.
Die Männchen einiger Arten (Pipistrellus, Eptesicus, Vespertilio und Noctula) sind dafür bekannt zu „singen“, um Weibchen anzulocken. Sie rufen dabei für den Menschen hörbar.
Andere Arten (vor allem verschiedene Mausohren-Arten und das Braune Langohr) versammeln sich zu Dutzenden oder gar Hunderten von Individuen an sogenannten Schwarmplätzen. Diese Orte befinden sich am Eingang von natürlichen oder künstlichen Höhlen. Dort zeigen Fledermäuse ein besonderes Verhalten: in wendigem Flug fliegen sie sich bei zahlreichen Verfolgungsjagden hinterher und Hin- und Herflüge zwischen der Höhle und dem umgebenden Luftraum finden statt. Obwohl dieses Schwärmverhalten noch wenig bekannt ist, spielt es wahrscheinlich eine Schlüsselrolle in ihrem Lebenszyklus, insbesondere bei der Fortpflanzung. Fledermäuse können bis zu mehreren Dutzend Kilometern zurücklegen, um zu ihrem Schwarmplatz zu gelangen. Dies ermöglicht unter anderem eine regionale, genetische Durchmischung, da verschiedene Populationen miteinander in Kontakt kommen.
Damit sie den Winterschlaf überleben, müssen unsere einheimischen Fledertiere vor der kalten Jahreszeit viel fressen, um genügend Reserven in Form von Fett speichern zu können. Sie verzeichnen während dieser Zeit eine Zunahme von 30% – 40% ihres Körpergewichts. Die Paarung findet bei den allermeisten Arten im Spätsommer und Frühherbst statt. Paarungen können auch während des Winterschlafs und im Frühjahr stattfinden, aber wahrscheinlich in geringerer Zahl. Während des Winterschlafs kann das Weibchen die Spermien einlagern und mehrere Monate am Leben erhalten. Erst im Frühjahr, nach dem Winterschlaf, finden Eisprung und Befruchtung statt und die Tragzeit beginnt.

Migration und Überwinterung

Alle europäischen Fledermäuse wechseln saisonal von ihren Sommerquartieren zu ihren Winterquartieren. Eine Minderheit der Fledermausarten unternimmt jedoch echte Migrationen („Wanderungen“), wenn der Winter naht. Beispiele für migrierende Arten sind der Kleine Abendsegler oder die Rauhautfledermaus. SIe können beachtliche Strecken von bis zu 2.000 km zwischen Sommer- und Winterlebensräumen zurücklegen.
Ab Ende Sommer machen sich Fledermäuse auf die Suche nach einem geeigneten Quartier für den Winterschlaf, das sie vor Frost schützt. Diese Habitate zeichnen sich durch artspezifische Umweltbedingungen aus (unterschiedliche Präferenzen für Temperatur, Luftfeuchtigkeit etc). Im Kanton Freiburg bevorzugen die meisten Mausohren- und Langohren-Arten beispielsweise besonders die Höhlen der Voralpen. Einige Arten überwintern auch in Gebäuden, Felswänden oder Baumhöhlen.
Der Winterschlaf ermöglicht es Fledermäusen, Energie zu sparen, die sie normalerweise zur Aufrechterhaltung der Körperwärme benötigen. Der Winterschlaf dauert etwa vier bis fünf Monate und wird von kurzen Aufwachphasen unterbrochen. Beim Aufwachen verbrauchen die Fledermäuse eine grosse Menge an Energie. Wenn die Tiere zu häufig aufwachen (oder durch die Präsenz von Menschen aufgeweckt werden), können ihre gesamten Reserven aufgebraucht werden und ihr Überleben steht auf dem Spiel. Daher sollten wiederholte Störungen an den Winterschlafplätzen vermieden werden. Nach der langen Zeit der Lethargie wachen die Fledermäuse mit der Rückkehr des Sommers endgültig auf, die Weibchen kehren in die Wochenstuben zurück und der Zyklus beginnt von vorne.